Alle Verbände und Initiativen die was auf sich halten haben bei dieser Bundestagswahl ein neues Hobby entdeckt: Wahlprüfsteine.
Seitenweise werden dabei die eigenen Positionen in Fragen, am liebsten in Suggestivfragen, gegossen und jedem Bundestagskandidaten an den Kopf geschmissen. Circa 400 Wahlprüfsteine fliegen derzeit durch die Bundesrepublik, selbst EDEKA möchte sich da nicht lumpen lassen.
Die Kandidaten sollen dann die moralische Pflicht haben diese Brocken möglichst schnell zu beantworten.
Inhaltlich kann es dabei häufig nicht detailliert genug sein. Absätze einzelner Paragraphen werden da abgefragt bei denen selbst die Fachpolitiker, die seit 4 Jahren im Bundestag sitzen, ins Grübeln kommen.
Ein Beispiel für eine Frage, über der ich bis heute ratlos sitze : „Verhindern Sie jeden Versuch, rechtliche Betreuung zu einem Ausbildungsberuf zu machen, weil Qualität nur durch Abschaffung der Zwangsbetreuung gesichert werden kann?“(Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener und die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener)
Also, Ehrlichkeit ist bei Wahlprüfsteinen gewünscht, bitte sehr: Liebe Verbände, liebe Initiativen, lasst den Quatsch.
Hier mal zwei Gründe warum Wahlprüfsteine Zeitverschwendung sind.
Erstens: Die Antwort kennt ihr doch eh schon.
Alle Parteien in Deutschland hatten nämlich die grandiose Idee einen großen Wahlprüfstein zu schreiben. Das Ding heißt Wahlprogramm. In diesen mindestens 80 seitigen Werken großartiger Prosa stehen die Antworten auf die meisten eurer Frage, wenn auch manchmal nicht allzu deutlich. Unsere Wahlprogramme sollten jedem engagierten Verband oder Initiative bekannt sein. Wenn nicht einfach mal nachfragen.
Und selbst wenn es nicht drin steht, haben die Bundesgeschäftsstellen der Parteien sich auch schon kluge Textbausteine einfallen lassen. Kennst du eine Antwort kennst du alle ist das Ergebnis für eure Wahlprüfsteine. Copypaste als Beschäftigungstherapie für Bundestagskandidaten? Vielleicht ist da der Bürgerkontakt am Wahlkampfstand doch deutlich wichtiger.
Zweitens funktioniert eure Verpflichtung von Kandidaten für eure Anliegen einfach nicht.
Der Idee, dass die dann gewählten Abgeordnete knallhart an den Antworten von kleinen und kleinst Befindlichkeiten gemessen werden können, spucken nämlich zwei Grundprinzipien des deutschen Parlamentarismus kräftig in die Suppe. Das eine nennt sich Arbeitsteilung, das andere ist das Abstimmen in Fraktionen. Nicht jeder Abgeordnete kann in jedem Ausschuss sitzen, was passiert also wenn euer Anliegen im anderen Ausschuss von der Tagesordnung fliegt? Hat sich der Abgeordnete nicht für euch eingesetzt? Selbst wenn er den zuständigen Kollegen auf Knien angebettelt hat, kann er das wohl kaum glaubhaft nach außen tragen.
Das Abstimmen in Fraktionen macht das Parlament erst arbeitsfähig. Es wird sich zuvor innerhalb der Fraktionen geeinigt und dann im Plenum abgestimmt. Ihr kennt das. Einwenden werdet ihr sicher jeder Abgeordnete ist nur seinem Gewissen verpflichtet, aber ihr glaubt nicht wirklich, dass jede eurer Fragen Gewissensentscheidungen sind. Sollte es im übrigen welche sein, waren es die auch ohne euren Wahlprüfstein.
Fassen wir zusammen. Die Antwort interessiert euch nicht wirklich, weil sie sowieso schon im Wahlprogramm steht oder ihr sie schon hundert Mal bekommen habt und vor den Lobbykarren kriegt ihr die Abgeordneten so auch nicht recht gespannt.
Also, wie wärs, lasst doch einfach das Zuschottern mit Massenbriefen und Mails. Wenn ihr es ernst meint kommt einfach im Wahlkreis vorbei oder ladet ein.
Den Schreibtisch verlassen, das klingt hart, aber da sollten Bundestagskandidaten auch sein; draußen auf der Straße bei den Leuten und nicht am Schreibtisch Wahlprüfsteine beantworten.